Nr. 220-4/04
Neuen Wegen in der Versorgung und Betreuung von Menschen mit Demenzerkrankungen ist der diesjährige Innovationspreis Sozial Aktiv des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit gewidmet, den Sozialministerin Malu Dreyer heute in Mainz überreichte. Die drei Geldpreise im Wert von jeweils 1.500, 1.000 und 500 Euro gingen an das Netzwerk Demenz in den Verbandsgemeinden Diez, Hahnstätten und Katzenelnbogen (1. Preis), das AHZ Ökumenische Sozialstation Brücken (Landkreis Kusel) (2. Preis) und das Schiller Wohnstift in Ludwigshafen-Oggersheim (3. Preis). Sonderpreise erhielten das Projekt 3 e.V. mit dem Modellprojekt „Das Dorf“ in Adenau (Kreis Ahrweiler) und die Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Psychiatrische Klinik und Poliklinik.
Die Verbesserung der Situation von Menschen mit Demenz und deren Angehörigen sei Teil ihrer Initiative ?Menschen pflegen?, wie die Ministerin unterstrich. Mit der Verleihung des Innovationspreises an in diesem Bereich vorbildlich tätige Projekte und Einrichtungen gehe es ihr darum, auf die besondere Lebenslage und die Bedürfnisse der betroffenen Menschen aufmerksam zu machen. Die Ausschreibung des Preises sollte darüber hinaus Einrichtungen, Dienste und Fachkräfte anregen, sich mit der innovativen Seite des Themas auseinander zu setzen und bereits in der Praxis erprobte Aktivitäten ins öffentliche Licht zu rücken, so die Ministerin.
In Rheinland-Pfalz sind nach Angaben der Ministerin derzeit zwischen 50.000 und 60.000 Menschen an einer mittleren oder schweren Demenz erkrankt. Ihre Zahl werde weiter zunehmen. Hinter diesen Zahlen stünden Menschen, die mehr und mehr die Fähigkeit zur Kommunikation mit ihrer Umwelt und zur Orientierung verlören. Viele demenzkranke Menschen entwickelten eine extreme Unruhe und benötigten ein hohes Maß an Betreuung und Anleitung. Dies stelle die gesamte Pflegelandschaft vor besondere Herausforderungen. Das bestehende Hilfesystem für alte und pflegebedürftige Menschen müsse sich angesichts der demographischen Entwicklung verstärkt auf die Bedürfnisse dieser Patientengruppe einstellen. Gleichzeitig benötigten die Angehörigen, die demenzkranke Menschen zu Hause pflegen, Unterstützung und Entlastung. Die Preisträger hätten ihren Blick auf die besondere Situation der demenzkranken Menschen gerichtet und auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Konzepte entwickelt.
Das Netzwerk Demenz in den Verbandsgemeinden Diez, Hahnstätten und Katzenelnbogen ist seit Juli 2003 aktiv. Ihm gehören drei stationäre Pflegeeinrichtungen (das Altenzentrum der Arbeiterwohlfahrt Diez, das Senioren-Centrum Katzenelnbogen und die Theodor-Fliedner-Stiftung Katzenelnbogen), zwei Ambulante Dienste (Privater Pflegedienst Manuela Iwanow in Diez und Kirchliche Sozialstation Diez), der Seniorenbeirat Katzenelnbogen und die Beratungs- und Koordinierungstelle Diez an. Ziel ist vor allem die Entlastung für pflegende Angehörige. Im Rahmen des Netzwerkes werden Gesprächskreise, Schulungen und Beratungen für Angehörige von Demenzkranken und gemeinsame Kaffeenachmittage organisiert. Die Kirchliche Sozialstation in Diez bietet einen häuslichen Betreuungsdienst durch geschulte Ehrenamtliche als niedrigschwelliges Betreuungsangebot an. Mit „Betreuung Zuhause“ bietet der Private Pflegedienst Manuela Iwanow im Kreis Diez-Hahnstätten eine professionelle und individuell angepasste Vor- beziehungsweise Nachmittagsbetreuung für demenzerkrankte Menschen. Die am Netzwerk Beteiligten tauschen sich regelmäßig aus und betreiben gemeinsam Öffentlichkeitsarbeit.
Seit April 2004 bietet das AHZ Ökumenische Sozialstation Brücken e.V. auf Initiative der Mitarbeiterin der Beratungs- und Koordinierungsstelle einmal pro Woche eine Betreuungsgruppe für Demenzkranke als niedrigschwelliges Betreuungsangebot an. Dort werden die an Demenz erkrankten Menschen von einer Pflegefachkraft mit Zusatzausbildung als Validationsanwenderin, einer speziellen Kommunikationsform mit Demenzkranken, und von ausgebildeten ehrenamtlichen Helferinnen betreut. Außerdem betreuen drei ehrenamtliche Helferinnen stundenweise Demenzerkrankte im häuslichen Bereich. Die Einsätze werden monatlich gemeinsam mit einer Pflegefachkraft reflektiert. Weiterhin wurde eine Informationsveranstaltung organisiert, bei der ein Facharzt zum Thema Demenz referierte. Hierzu wurden auch Hausärzte, der sozialpsychiatrische Dienst der Kreisverwaltung und im Pflegebereich tätige Dienste eingeladen. Bereits seit 1999 trifft sich einmal im Monat eine Selbsthilfegruppe für an Alzheimer erkrankte Menschen und deren Angehörige. Das AHZ Ökumenische Sozialstation Brücken e.V. strebt außerdem die Vernetzung mit vorhandenen ambulanten, teilstationären und stationären Einrichtungen an.
Das Schiller-Wohnstift in Ludwigshafen ist eine Einrichtung der stationären Altenhilfe mit 96 Ein- und Zweizimmerappartements, 36 Pflegebetten und einem angeschlossenen Ambulanten Pflegedienst, der sich vorrangig um die pflegerische Betreuung der Appartementbewohnerinnen und -bewohner kümmert. Die Terrasse der Einrichtung und der angrenzende Weg wurden zum „Garten der Wahrnehmung und der Sinne“ mit Terrasse, immergrünen Pflanzen, Blumen, Kräutern und Früchten, einem Felsenbrunnen und einem Barfußweg umgestaltet. Der Garten soll vor allem für die demenzkranken Menschen ein Ort der Erholung und des Naturerlebnisses sein, der ihre Sinne und Gefühle anspricht. Im Rahmen von Gruppenangeboten und Einzelbetreuung sollen die Bewohnerinnen und Bewohner an die verschiedenen Elemente des Sinnesgartens herangeführt werden, um neue Sinneswahrnehmungen zu ermöglichen und alte Erinnerungen wieder anzuregen. Im Rahmen des Angebotes „Kindergarten im Schiller-Wohnstift“ können Kindergartenkinder den Sinnesgarten gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des Stifts erkunden.
Das Projekt 3 e.V. von Waltraud und Hans Keuser hat im Seniorenzentrum „Villa am Buttermarkt“ in Adenau seit 2002 „Das Dorf“, einen Wohnbereich für 24 demente Bewohnerinnen und Bewohner, eingerichtet. Es ist das erste und einzige investiv und modellhaft geförderte Projekt dieser Art in Rheinland-Pfalz. Für die milieutherapeutische und räumliche Umgestaltung des Wohnbereiches erhielt das Projekt 3 e.V. 2001 einen Landeszuschuss in Höhe von 67.000 Euro. Die Atmosphäre in der Einrichtung ist gezielt auf die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner ausgerichtet und ermöglicht eine Alltagsgestaltung, die die Ressourcen der demenzkranken Menschen aktiviert. Das Konzept und seine Umsetzung wurden von der Heimaufsicht eng begleitet. Im „Dorf“ wird die Biografie der Bewohnerinnen und Bewohner in die Arbeit mit einbezogen, ein an den Bedürfnissen der demenzkranken Menschen ausgerichteter Kommunikationsstil gepflegt und die Tagesstruktur gezielt an den Bewohnerinnen und Bewohnern ausgerichtet. Stark ausgeprägt ist die Arbeit mit den Angehörigen, die die Welt der demenzkranken Menschen erschließen helfen und Biografiearbeit ermöglichen.
Die Johannes Gutenberg-Universität Mainz führt das erste psychotherapeutische Gruppenprogramm zur Frühintervention für Patientinnen und Patienten mit beginnender Demenzerkrankung in Rheinland-Pfalz durch. Patientinnen und Patienten mit leichten Beeinträchtigungen bei diagnostizierter Demenz oder mit leichter Demenz und deren Betreuungspersonen treffen sich in 14-tägigem Rhythmus jeweils für anderthalb Stunden. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern soll praktisch aufgezeigt werden, dass es möglich ist, trotz der Gedächtnisprobleme am Leben aktiv teilzunehmen und sich so möglichst lange eine hohe Lebensqualität zu erhalten. Jede Therapiestunde beginnt mit Übungen zur Psychomotorik. Dabei wird auf vorhandenen Stärken und Möglichkeiten aufgebaut. Zentral ist die Entlastung und der Schutz der Beziehungen zum Partner und den engsten Angehörigen, mit denen der Umgang mit Gedächtnisproblemen des Betroffenen trainiert wird. Für die Patienten besteht damit in der Frühphase die Chance, die verbleibende Lebenszeit aktiv zu gestalten, Vorsorgevollmachten und Erbschaftsregelungen zu treffen, ihre Wohnung angemessen einzurichten und technische Hilfsmittel kennen zu lernen. Das seit August 2002 bestehende Pilotprojektes wird evaluiert, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gruppenangebotes werden befragt und die Ergebnisse dieser Befragung werden ausgewertet.